Denn er hatte noch eine dringende Verabredung mit den drei Eichen und den zwei Bächen am Fuß des goldenen Berges.

[Because he still had an urgent appointment with the three oak trees and the two streams at the foot of the golden mountain.]

for organ solo (2020)

duration: 10’

premiere: 01/03/2021 in the Brucknerhaus Linz, Hans-Jörg Albrecht (organ)

 

ENGLISH TEXT HERE

Das Stück versucht, eine Art Essenz aus Bruckners 1. Sinfonie in c-Moll zu destillieren.

Was mich an dieser Musik fasziniert, sind die Extreme: die Regelhaftigkeit auf der einen und die Freiheit auf der anderen Seite. Diese Regelhaftigkeit sehe ich in der Partitur als strenge Klarheit der Struktur: überall nur Zahlen, formal gegliederte Abschnitte, Kontrapunktik und abgezählte Taktgruppen. Doch beim Hören entsteht keineswegs der Eindruck einer rein abgezirkelten und intellektuellen Musik. Vielmehr empfindet man diese (durch-)konstruierte Musik als Ausdruck größtmöglicher Freiheit, mit endlos anmutenden Melodien und frei schwebenden Harmonien. Das Orgelstück versucht genau diese Einheit von innerer und äußerer Struktur zu erreichen, der ich mich sehr verbunden fühle.

Eine Sequenz, also die Wiederholung einer bestimmten Tonfolge, wird meist als Überleitung von einer musikalischen Einheit zur nächsten eingesetzt. Bruckner verwendet seine Quintfallsequenzen jedoch in solch weitschweifender Weise, dass man meinen könnte, die Sequenz diene gar nicht dazu, von einem Thema zum nächsten überzuleiten, sondern im Gegenteil das Gefühl bekommt, die zwei Themen seien eigentlich nur dazu da, die kunstvolle Überleitung komponieren zu können. In ähnlichem Maße lässt sich der Eindruck gewinnen, dass ein Maler wie beispielsweise Francisco de Zurbarán die im Wortsinne ergreifende Struktur der Gewänder in seinen Bildern nicht gemalt hat, um damit eine Geschichte auszuschmücken, sondern im Gegenteil die dargestellte Szene nur ersonnen wurde, um die feinsten Schattierungen und delikatesten Texturen der Gewänder so sinnlich darzustellen, dass man sie durchs bloße Betrachten auf der eigenen Haut zu spüren meint.

Das vorliegende Orgelstück, das aus einer endlosen chromatischen Sequenz (basierend auf einer absteigenden Skala) besteht, hat allein den Übergang und somit einen Ausschnitt, ein kleines Fenster zur Unendlichkeit zum Inhalt. Denn der Übergang zwischen dem tiefen Blau des Himmels und dem leuchtenden Rot des Horizonts enthält eine unendliche Anzahl chromatischer Farben.

Der Titel „Denn er hatte noch eine dringende Verabredung mit den drei Eichen und den zwei Bächen am Fuß des goldenen Berges.“ spricht Bruckners Vorliebe für formale Klarheit in Verbindung mit seinem Zählzwang an. Diesen vermeintlichen Makel und seine Versessenheit subversiert er zu seiner Stärke – wie ein motorisch zitternder Maler, der mit krakeligen Linien überwältigende großflächige und monumentale Bilder malt.

In unseren Kalendern stehen meist nur „wichtige“ Termine, Aufgaben und Verabredungen. „Unwichtige“ Termine und Aktivitäten jedoch, wie eine Verabredung mit dem Mond, das Abzählen von Taktgruppen, das kunstvolle Ausarbeiten eines Übergangs, das kontemplative Betrachten von Bäumen, stehen wahrscheinlich auf den wenigsten To-do-Listen. Doch wenn man weiß, dass ein nützlicher Zimtbaum gefällt und eine alte, unnütze, knorrige Eiche stehen gelassen wird, dann stellt sich einem unwillkürlich die Frage, ob man lieber unwichtige oder wichtige Dinge tun will.

ENGLISH TEXT

The piece tries to distil a kind of essence from Bruckner's music.

What fascinates me about this music are the extremes: the regularity on the one hand and the freedom on the other. I see this regularity in the score as strict clarity of structure: everywhere only numbers, formally structured sections, counterpoint and counted groups of bars. But listening to it, one does not get the impression of a purely circumscribed and intellectual music. Rather, one feels this (thoroughly) constructed music as an expression of the greatest possible freedom, with seemingly endless melodies and free-floating harmonies. This organ piece tries to achieve precisely this unity of inner and outer structure, to which I feel very attached.

A sequence, i.e. the repetition of a certain sequence of notes, is usually used as a transition from one musical unit to the next. Bruckner, however, uses his sequences of falling fifths in such a rambling manner that one might think that the sequence does not serve at all to lead from one theme to the next, but on the contrary: one gets the feeling that the two themes are actually there only so that Bruckner is able to compose the elaborate transition. Similarly, one gets the impression that a painter like Francisco de Zurbarán, for example, did not paint the haptic looking structure of the garments in his pictures in order to embellish a story with them, but on the contrary, the scene depicted was only invented in order to depict the finest shades and most delicate textures of the garments so sensually that one feels them on one's own skin just by looking at them.

This organ piece, which consists of an endless chromatic sequence (based on a descending scale), is solely concerned with the transition and thus with an excerpt, a small window to infinity. For the transition between the deep blue of the sky and the bright red of the horizon contains an infinite number of chromatic colours.

The title "Because he still had an urgent appointment with the three oak trees and the two streams at the foot of the golden mountain." speaks to Bruckner's preference for formal clarity in conjunction with his compulsion to count (arithmomania). He subverts this supposed flaw and obsession to his strength - like a quivering painter with a tremor who paints overwhelming large- scale and monumental pictures with scribbly lines.

In our calendars there are usually only "important" dates, tasks and appointments. "Unimportant" appointments and activities, however, like making an appointment with the moon, counting off groups of measures, artfully working out a transition, contemplatively looking at trees, are probably on very few to-do-lists. But when you know that a useful cinnamon tree will be cut down and an old, useless, gnarled oak tree left standing, the question of whether you would rather do unimportant or important things involuntarily arises.

 
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